Bootsgastbeitrag – „Aus dem Leben eines Leichtmatrosen“ – des Dramas zweiter Teil

Seit Mittwochmittag sind wir aus der Selbstisolation zurück in der Zivilisation (ersehnteste Dusche ever!) und haben endlich wieder festen Boden unter den Füßen. Ein Zustand, der mir ehrlich gesagt einfach immer noch am liebsten ist. Dauergeschaukel ist nicht so ganz meine Sache, vor allem wenn es einen derart vom Schlafen abhält. Ein bisschen Neid kam da schon immer wieder auf, wenn dann alle von ihren absolut problemlos erreichten stundenlangen Tiefschlafphasen fabuliert haben – vielleicht war da auch ein bisschen Seemannsgarn eingesponnen, aber sei’s drum. Hinter uns liegt nun eine verhältnismäßig ruhige Biskayadurchquerung, aber die sieben Tage am Stück waren dann doch ziemlich heavy, wenn man sie zusätzlich mit einer Magen-Darm-Verstimmung kombiniert. Die Crew hat mich tagsüber immer wieder mehr so als menschliches Ballastgewicht betrachtet und dies des Öfteren mit entsprechend kreativen Sprüchen zum Ausdruck gebracht – Highlight: „Du hast den Lateralplan verändert!“ bedeutet „Bleib gefälligst liegen wo du bist, da trimmst du wenigstens das Boot!“

Aber immerhin musste ich im Gegensatz zu anderen keine Nachtschicht ausfallen lassen und wurde daher glaube ich trotz allem als insgesamt nützlich erachtet und durfte weiter mitsegeln. Und da ich auch beim allerbesten Willen schlichtweg nicht im Stande war, die Bordvorräte leerzufressen (Andis Snickers waren immer nur unauffindbar versteckt – entsprechende Diva-Einlage inklusive), wurde ich auch nicht auf einer der beiden altersschwachen Gummisauen (fachdeutsch: Schlauchboot) ausgesetzt und meinem Schicksal überlassen.

Alles in allem lässt es sich so unter Deck die meiste Zeit des Tages auch ganz gut aushalten. Es gab aber halt andererseits über Deck auch nicht so wirklich viel zu sehen. Und bevor ich wehrlose Südfrüchte beim Reifeprozess anfeuere während Gerda (der Autopilot) eh die ganze Arbeit erledigt (tagsüber ist ja Sonne und kein Strommangel), kann ich auch mal über die wirklich wichtigen Fragen des Lebens/Segelns nachdenken. Zum Beispiel hierüber:

Sind Leichtmatrosen auch leichtgläubig? Wäre an sich ja eine naheliegende Vermutung – wenn sie schon nicht gerade leichtgewichtig sind, müssten sie doch wenigstens das sein. Ich für meinen Teil wollte das auf gar keinen Fall sein und wurde dann bei unserer Fast-Begegnung mit den Orcas massiv eines Besseren belehrt. Da sitzt man friedlich an Deck, Sabine fängt an irgendwas von zerstörerischen Attacken halbstarker Orcas auf unschuldige Segelschiffe zu erzählen und man schaut ehrlich gesagt ziemlich misstrauisch drein. Zwei Stunden später liegt man friedlich in seiner Koje und glaubt seinen Ohren kaum, als man den Hilfe ersuchenden Funkspruch mithört. Übrigens der ruhigste und klarste Funkspruch, den ich mir in dieser Situation überhaupt je ausmalen könnte – zerschlagene Ruderanlage, Riss im Rumpf mit eindringendem Wasser, Schiff voll mit Crew und die Orcas haben weiter Bock auf Spielen – aber der Typ war einfach total cool. Und wenn man dann hinterher noch feststellt, dass es halt wirklich die Yacht war, die zwei Stunden zuvor den eigenen Weg gekreuzt hat, läuft es einem auch ein bisschen cool den Rücken runter und alle je gehegten Zweifel sind völlig weggefegt.

Wie viele Zeitzonen kann man auf einem Schiff gleichzeitig haben? Wenn man diese Frage flüchtig liest, erscheint sie einem relativ banal. Eigentlich sollte es ja nur eine Zeitzone geben, in der sich das Schiff gerade aufhält und schlimmstenfalls überdehnt man diese noch ein wenig über den relevanten Längengrad hinaus bis zum nächsten Hafenaufenthalt in der entsprechenden Zeitzone (ggf. einfacher als mitten im Schichtsystem die Zeitbasis zu ändern). Das wäre uns aber zu unkompliziert gewesen – entsprechend wurde das zelebriert. Neben den anwesenden Personen an Bord, von denen zugegebenermaßen ich initial das größte Zeitchaos gestiftet habe, gab es folgende weitere Beteiligte in diesem bunten Reigen: Das neue GPS, das sich laut Einstellungen theoretisch automatisch ortsbasiert umstellen sollte, was es aber nicht tat. Ein altes GPS, das diesen neumodischen Schnickschnack nicht beherrscht und daher in Porto manuell umgestellt wurde. Eine gute alte analoge Uhr mit Ziffern, die aber nie umgestellt wurde. Diverse Smartphones, die je nach letzten Mobilfunkempfang immer mal wieder mehr oder weniger wissentlich umgestellt haben. Und zu guter Letzt noch Smartwatches, die allerdings nicht zwangsläufig synchron mit ihren gekoppelten Smartphones sein müssen. Jedenfalls soll es vorgekommen sein, dass Menschen nach Mobilfunknetzkontakt eine Stunde zu früh zu ihrer Wachschicht aufgestanden sind oder dass Schichten erst nach einer zusätzlichen Erinnerung mit einer kleinen Verzögerung von ca. 10 min begonnen wurden. Ebenso hätte fast das kolossale Feuerwerk der Grande Nation zum Nationalfeiertag in Cherbourg pünktlich um 23 Uhr geendet. Kurzum – es ist eine bunte Wundertüte, aber immerhin lügt das alte GPS und damit das Logbuch bekanntlich nie.

Wo genau liegt auf dieser Route eigentlich die höchste Sprachbarriere? Das ist eine schwer zu beantwortende Frage, schließlich kann sie ja in jedem Hafen auftauchen, in jeder besuchten Stadt oder auch mal direkt an Bord. Andi sagt zwar immer, dass er sehr lange in München gelebt habe. Dafür ist sein Verständnis für banale Uhrzeitangaben mit Viertel und Dreiviertel (siehe voriger Absatz) oder auch nur den bayerischen Dialektgrundwortschatz gefühlt nicht sehr ausgeprägt. Wobei mich die beiden an Bord befindlichen Franken gleich wieder böse anschauen, weil Franken ist ja nicht Bayern und der doofe Schwabe möge nun gefälligst schweigen, denn der redet ja auch komisch. Aber auch umgekehrt stellt so manches norddeutsche Sprachkonstrukt den gemeinen Süddeutschen vor einige Probleme – ich mein wir verstehen Genitiv ja schon aber deswegen ist er immer noch nicht der Lieblingsfall eines jeden Crewmitglieds.

Und wenn wir grade nicht sprachlich mit uns selbst beschäftigt waren, gab es ja auch noch so viele andere Dinge zu erleben. Erklär mal einem Segelmacher mit Händen und Füßen auf jahrelang ungenutztem Französisch, wo er was flicken soll. Oder auch nur dem Taxifahrer in Porto, wo du eigentlich hin willst. Oder kauf mal neue Batterien und Schoten auf Spanisch – jedes Mal wieder ein Erlebnis – für alle Betroffenen. Und als Krönung stiften Jochens Gelüste nach Spezi außerhalb des deutschsprachigen Raums sowieso immer Verwirrung weil was soll das auch, dass der eine Typ zwei Getränke gleichzeitig will und dann auch noch ein leeres Glas obendrauf. Jedenfalls gehört mein Französisch definitiv wieder ganz ganz dringend aufpoliert und ein paar Brocken Spanisch würden eigentlich auch mal nicht schaden…

Was macht man eigentlich den ganzen Tag auf der Biskaya? Joah, also entweder halt unter Deck liegen und über den Sinn des Lebens nachdenken oder über Deck liegen und über den Sinn des Lebens nachdenken. Ersteres kommt dann ziemlich nahe an Diogenes in seinem Weinfass ran. Zweiteres eher an einen engagiert diskutierenden Philosophenkreis in einer Weinlaube. Nur, dass die besagte Philosophengruppe halt unter einem romantisch schaukelnden Bündel unreifem und daher ungenießbarem Obst saß und der einzelne Philosoph eher in einer überdimensionalen Getränkedose rumlag (Stichwort Alurumpf). Die alten Griechen wären jedenfalls stolz auf uns gewesen, wie viel man über wie wenig visuelle Reize nachdenken und diskutieren kann. Wenn zwei Schiffsbegegnungen und ein Schwarm Delfine pro Tag (Andi: zwei Schwärme!!) schon zu höchsten Erregungen führen, kann eigentlich nur leerer und fruchtbarer Boden für tiefstgeistige Erkenntnisse vorliegen.

Diese genauer auszuführen, würde nun aber den Rahmen des Blogs sprengen und außerdem muss der Beitrag aus literarischen Gründen hier auch vorerst enden. Der dritte Teil widmet sich noch den angesprochenen tiefsinnigen Fragen des Seglerlebens – oder vielleicht gehen wir auch einfach direkt zum finalen Resümée über, mal schauen…

Johannes

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